Undercover bei einem Eizellspende-Vortrag
Es war mit Abstand die geheimnisvollste Veranstaltung, an der ich in meinem Leben je teilgenommen habe.
Der Flyer ist mir bei der letzten Kinderwunsch-Messe in Berlin persönlich in die Hand gedrückt worden.
Aber von wem? – ich konnte mich nicht mehr daran erinnern. Darin stand, dass es bald wichtige Informationen über die Eizellspende geben wird.
Aber wer kommt und aus welchem Land war nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Und auf den zweiten und dritten auch nicht.
Die Anmeldung verlief sehr einfach und per Email. Sofort war mir klar, dass ich darüber berichten werde. Denn wo sollten Sie sonst Wichtiges über Eizellen erfahren, wenn nicht auf meinem Blog?
Eizellspende in Ausland, Aufklärung in Deutschland
Und so stand ich am vergangenen Sonntag vor einem Hotel mitten auf dem Alexanderplatz in Berlin. Zum Glück war ich nicht allein, noch etwa 40-50 andere Menschen hatten den gleichen Flyer dabei.
Dann kamen ein paar freundliche, gut gelaunte Frauen und nahmen uns in Empfang. Unter sich sprachen sie Russisch.
Bald saßen wir in einem Konferenzraum, die Atmosphäre in eine geheimnisvolle Aura gehüllt. Wie eine Partisanin kam ich mir vor, als ich versuchte zu erkennen: wer sind die Guten, wer sind die Bösen?
Was kommt jetzt? Sind wir wirklich im Jahr 2018?
Dann wurde die Tür geschlossen.
Ein paar Patienten gehen nach vorn, besser gesagt Familien – ganz normale Berliner, die eine Eizellspende schon mal in Russland gemacht hatten. Sie haben ihre Kinder dabei.
Ein kleines, zweijähriges Energiebündel läuft von der Bühne weg, als seine Mutter versucht, ihre Erfahrung mit der Eizellspende dem interessierten Publikum zu schildern. Auch ein paar Zwillinge sind dabei, sowie eine Oma, die sich um die Kinderbetreuung bemüht.
Schon in wenigen Minuten ist die Atmosphäre vertraut und offen wie in der Sauna eines Fitnessstudios. Manche reden durcheinander und man merkt: der Leidensdruck ist groß und es gibt viel Aufklärungsbedarf.
Die erste Mutter auf der Bühne erzählt, wie sie zu der russischen Klinik nach vielen Jahren erfolgloser Behandlungen gefunden hat und wie schnell sie schwanger wurde, nachdem sie eine Eizellspende von einer Frau, die selbst 15 Jahre jünger war als sie, in Anspruch genommen hatte.
Weiter berichtet die Frau, wie zufrieden sie mit ihrem Leben ist, seitdem ihr Sohn dazu kam, und wie sie sich noch Geschwisterkinder für ihn wünscht.
Auf die Frage, ob ihr Kind ihr ähnlich sei, sagt die Ärztin Dr. Olga Zaytseff entschlossen:
„Mir ging es, genauso wie den meisten Frauen, die sich für eine Eizellspende entscheiden, auch nur darum, endlich mal eine Familie zu haben! Ich war schon über 40 und mit den Nerven am Ende! Aber es hat sich tatsächlich zufällig getroffen, dass mein Sohn aus der Eizellspende blaue Augen hat – ein absolutes Erkennungsmerkmal in meiner Familie, so dass sogar meine Gynäkologin verblüfft war.“
Auf eine weitere Frage, ob sie ihr Umfeld über die Eizellspende informiert hat, sagt sie:
„Nein. Meine Eltern wissen es sowie meine Gynäkologin und die Paten. Sonst niemand. Weil die Eizellspende in Deutschland ein Tabu ist und niemand es riskieren möchte, dass sein Kind stigmatisiert wird.“
Der Umgang mit Organ- und Zelltransplantation ist kulturell sehr abhängig und während in Skandinavien Frauen, die dank Einzelspende Kinder bekommen haben, offene Zusammentreffen feiern, wird in Deutschland, sowie in vielen anderen Ländern, darüber einfach nicht gesprochen.
Die Frauen werden ja mit allen Eizellen, die sie je haben werden, schon geboren, deshalb hören diese irgendwann mal auf, lebensfähige Embryonen zu bilden.
Die zweite eingeladene Mutter, die ebenso nach vielen erfolglosen Kinderwunschbehandlungen nach St.Petersburg gereist war, erzählt, wie ihre größte Sorge war, dass das Kind nicht „ihr Kind“ wird. Und wie sie sich fragte, ob sie solch ein Baby genauso wie ihr eigenes, genetisches Kind lieben könnte? Ob sie innerlich bereit wäre, sich an ein „fremdes Kind“ zu binden?
Irgendwann hat sie sich getraut, die Eizellspende zu machen, nicht zuletzt weil Kinder für ihren Mann zum Lebenskonzept gehörten. Ihre Sorgen haben sich dann während der Schwangerschaft erübrigt.
„Mit einer runden, schnell wachsenden Kugel“, die Frau zeigt dabei auf ihren Bauch, „werden Sie sehr schnell zu einer Einheit. Und dann gebären Sie noch das Kind, stillen und tragen es…Diese Prozesse gehören zum Muttersein viel mehr als die Gene selbst. Irgendwann vergessen Sie es tatsächlich, dass es noch Zeiten gab, als bei Ihnen irgendeine Zelle fehlte und Chromosomen in Ihren eigenen Zellen sich nicht teilen wollten.“
Sie fasst sich ans Herz, als sie sagt:
„Das Glück, Elternschaft erfahren zu dürfen, würde ich jedem Menschen wünschen. Mit Kindern ändert sich sehr viel im Leben. Vielleicht am meisten die Verantwortung, die Sie für die Gesellschaft und für die Welt zu übernehmen bereit sind.“
Im Publikum gibt es wieder Fragen, so dass die Klinikärztin erstmal eingreifen muss, um selbst überhaupt zu Wort zu kommen. Sie stellt sich vor (Dr.Olga Zaytseff und ihr Team aus St.Petersburg) und macht sofort klar:
„Ich bin Kinderwunschärztin und keine Frau, die hier Eizellen verkauft.
Ich wundere mich immer wieder, wie viele Urteile darüber herrschen, was eine Eizellspende überhaupt ist. Und dabei ist es einfach:
Eizellspende ist die letzte Rettung, zu der gegriffen wird, wenn alle anderen Mittel gescheitert sind.
Niemand, wirklich niemand kommt zu uns, weil es Spaß macht und weil es eine leichte Entscheidung ist.
Außerdem, mindestens ein Viertel der Frauen, die zu uns wegen der Eizellspende kommen, entscheiden sich doch noch vor Ort, den eigenen Eizellen eine letzte Chance zu geben.
Unsere Patientinnen sind keine Anfängerinnen und haben alle schon eine Reihe von erfolglosen Kinderwunschbehandlungen hinter sich. Und von Designer-Babies kann sowieso keine Rede sein – mich ärgert immer wieder dieser giftige Quatsch, den die ahnungslosen Journalisten dank Massenmedien vor einigen Jahren verbreitet haben.
Bei der Eizellspende, wie bei fast allen Dingen, die Menschen eine irrationale Angst machen, geht es vor allem um mangelnde Aufklärung und einen nicht vorhandenen Dialog.“
Über Ärzte in Deutschland sagt sie:
„Sie haben es in Deutschland gut! Ich bin oft in anderen Ländern unterwegs und kann Ihnen sagen, dass Frauen woanders monatelang auf einen Termin bei einem Kinderwunschspezialisten warten. Deutsche Ärzte sind nicht nur kompetent sondern auch hilfsbereit und meistens ist es kein Problem, noch ein paar Werte im Blut vorab zu klären, bevor die Patienten sich auf die Reise nach St. Petersburg machen.“ (Eine Eizellspende ist in Deutschland im Unterschied zur Samenspende verboten).
Später erfahre ich, Olga Zaytseff war Assistenzärztin in Kiel und hat ihren beruflichen Weg in Deutschland angefangen. Auch in Schweden ist sie viel unterwegs, der schwedische Fernsehsender SVT berichtete neuerdings über eine der Veranstaltungen der OLGA Fertility Clinic.
Dann zeigt sie das Foto vom Klinik-Team in St.Petersburg, wo sie jetzt arbeitet und ich denke, sehe ich richtig?
Auf dem Foto sind etwa 20 Menschen, und alle sind Frauen! Als würde das Bild etwas sagen wollen, aber was?
Dass die Mutterschaft in die Hände von Frauen gehört?
Und was, wenn es stimmt?
Neben Olga Zaytseff auf dem Bild ist noch eine weitere Kinderwunschärztin zu sehen, die das erste Baby nach einer Eierstock-Transplantation in Russland zur Welt gebracht hat.
Das ist ein Vorgang, der den Frauen – die in jungen Jahren an Krebs erkrankt und aggressiv bestrahlt wurden – ermöglicht, eines Tages wieder funktionierende Eierstöcke zu bekommen. Bis jetzt wurden weltweit nur wenige Dutzend Babies dank eines solchen Verfahrens geboren.
Die Botschaft kommt an: diese Frauen wissen, was sie tun.
Bei einer anspruchsvollen Stelle in Dr.Zaytseffs Vortrag, bei der kurze Videoclips auf dem Bildschirm laufen und abwechselnd auf Deutsch und Englisch die Zellteilung erklären, schauen ein paar aus dem Publikum so, als würden sie lieber etwas anderes wissen wollen. Die Ärztin lässt sich aber nicht beeindrucken und sagt:
„Uns ist es sehr wichtig, dass Sie verstehen, was in den Eizellen vorgeht oder manchmal eben auch nicht. Auch in St. Petersburg gibt es nach Ihrer Anreise am ersten Tag noch viel Unterricht.“
Und immer wieder betont sie:
„Ich möchte niemandem eine Eizellspende schönreden. Mir tut es auch leid, dass Sie so viel Leid und Scham erfahren mussten, bis Sie zu uns gefunden haben.
Viele wundern sich, wenn sie erfahren, dass Kinderwunschbehandlungen kaum eine Hälfte unserer Arbeit ausmachen. Die andere Hälfte ist der Umgang mit Ihren Gefühlen.
Viele Paare, die zu uns kommen, sind psychisch dermaßen fertig, dass bei uns am Anfang der Behandlung, noch lange bevor sie ihr Visum beantragen, erstmal Skype-Gespräche mit einer Psychologin stehen.
Diese Psychologin bezahlen wir und nicht sie! Nach dem Gespräch mit ihr, springen manche Patienten ab. Und das ist gut so, denn wir haben die Erfahrung gemacht, dass es für alle Seiten langfristig von Vorteil ist, wenn von Anfang an viel und über alles geredet wird und wirklich keine Frage unbeantwortet bleibt.“
Mir gefällt das.
Miteinander reden, weniger Angst empfinden, einander vertrauen. Für mich gehört genau das zu dem Stoff, aus dem Kinder gemacht werden.
Als ich später wieder auf der Straße bin und nach Hause radle, festigt sich bei mir ein Gefühl und ich merke, diese Veranstaltung wirkte auf mich irgendwie…heilsam.
Noch interesant: Eizellen der Frau sind ein großes Geheimnis. Was genau ist eine Eizellenspende bzw Eizellspende? Lesen Sie hier, warum Frauen wegen dieser speziellen Art der Kinderwunschbehandlung manchmal ins Ausland reisen müssen. Hier besuchte ich eine Klinik in der die erste Eizellspende in Europa durchgeführt wurde:
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