Feindiagnostik: Würden Sie ein Kind mit Downsyndrom abtreiben?
Die feindiagnostische Untersuchung in der 22. Schwangerschaftswoche war einer der schrecklichsten Momente in unserer Ehe.
Da wir bis jetzt auf relativ wenige schreckliche Momente in unserer Ehe zurückblicken, hat sich der Tag, an dem wir vor einem der bekanntesten Zentren für Pränataldiagnostik in Berlin standen und uns laut gestritten haben, ganz tief in unsere Erinnerung eingeprägt.
Was bringt die 22. Woche für eine Schwangere über 35 (die schon aufgrund ihres Alters als „Risikoschwangere“ abgestuft und behandelt wird)? In erster Linie die sogenannte Feindiagnostik.
Das ist nichts anderes als eine sehr detaillierte Ultraschalluntersuchung, mit so feiner Auflösung, dass man wie im Kino gemütlich daliegt, während alle Körperteile und Organe des Kindes auf riesigen Bildschirmen schweben und herumtanzen, viel größer als man selbst, sodass man das Gefühl bekommt, das Kind wäre ganz dabei und würde bei den Gesprächen im Zimmer mitmachen.
Feindiagnostik Schwangerschaft
Jedes Detail am Kind wird vergrößert und dermaßen deutlich, dass es fast unheimlich wird – ich jedenfalls hatte das Gefühl, ins Kinderzimmer meines Kindes reinzuplatzen, ohne auf seine Privatsphäre Rücksicht genommen zu haben.
Bei der langen Untersuchung konnten wir deutlich sehen, dass unser Sohn meiner Schwiegermutter sehr ähnlich war, dass er charakterlich eher tief in sich ruhte und gern beobachtete (was sich bis heute nicht geändert hat) und dass seine Geschlechtsteile eine beachtliche Größe hatten (was mich total faszinierte, da ich aus einer Familie komme, in der es Frauen im Überfluss gibt).
Das Problem ist nur: Durch Feindiagnostik bekommt man viel zu viele Informationen über den Zustand des ungeborenen Kindes.
Anhand der Ultraschalluntersuchung wird eine statistische Risikoabschätzung für Chromosomenanomalien ausgerechnet, und diese Zahl kommt mancher Schwangerschaft einem Todesurteil gleich. Das ist zwar selten, aber was häufig vorkommt ist, dass bei vielen Schwangeren die Zahlen einfach ungünstig ausfallen, irgendwo in einer Grauzone, nicht ganz positiv und nicht eindeutig negativ.
Eben diese Unsicherheit lässt viele Paare aus den weichen Schwangerschaftswolken auf den harten Boden der Statistik stürzen, wo sie bis zum Ende der Schwangerschaft gefangen bleiben.
Was passiert noch bei der Feindiagnostik: Um eine Möglichkeit der Chromosomenanomalien noch genauer einzuschätzen, werden die Ergebnisse der Ultraschalluntersuchung dann mit einem weiteren Test auf zwei bestimmte Biomarker im Blut kombiniert. Obwohl diese zusätzliche Blutuntersuchung eigentlich nett gemeint ist und die Lage bezüglich der Fehlbildungen klären sollte, führt sie psychisch in eine noch größere Unsicherheit, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Sollten die Ergebnisse die statistische Erwartungen der Feindiagnostik weiter verschärfen, bleibt dann nur noch eine Analyse übrig– nämlich die Fruchtwasseruntersuchung, auch Amniocentese genannt.
LESETIPPS:
Wie haben Frauen in der Vergangenheit unerwünschte Embryonen abgetrieben?
Wie haben Frauen in der Vergangenheit Endometriose und Krebsgeschwüre behandelt?
Untreue der Frau und wie sie im Mittelalter behandelt wurde
Organscreening und Pränataldiagnostik – was würden Sie machen?
Da werden die Chromosomen des Kindes endgültig aufgezählt (bis dahin sind Sie weit im fünften Schwangerschaftsmonat oder noch weiter), und dann müssen Sie eine Entscheidung treffen: Möchte ich ein Kind mit Fehlbildungen zur Welt bringen? Und (da für die allermeisten, die sich diese Frage stellen, die Antwort negativ ausfällt): Wann lasse ich mein Kind töten? Oder, was würden Sie machen, würden Sie ein Kind mit Downsyndrom abtreiben?
Um mich gar nicht erst in die Nähe dieser Situation zu bringen, habe ich schon nach dem netten Kinoerlebnis, das uns der Hightech-Ultraschall beschert hat, die Bremse gezogen und entschieden, mich den weiteren Untersuchungen gar nicht zu stellen.
Leider sah mein Mann das anders. Er war schockiert: warum würde ich nicht noch eine weitere Untersuchung machen lassen wollen, selbst wenn die statistische Auswertung aufgrund der Feindiagnostik wunderbar ausgefallen ist?
Kann ich nicht einmal das machen, was die Ärzte mir vorschlagen? Warum kann ich mich nicht wie eine ganz normale Risikoschwangere über 35 benehmen? Warum würden wir nicht ganz sicher sein wollen, alles sei in Ordnung mit dem Kind?
Die Ärztin guckte verlegen nach links und rechts und dann sagte sie, wir sollten uns in Ruhe unterhalten und später noch einmal in die Praxis kommen.
Und so standen wir draußen auf dem Kurfürstendamm. Ich mit meinem großen Bauch, in dem unser erstes Kind lebte, das nach über zwei Jahren unfruchtbarer Versuche dann doch kam, auf natürlichem Wege und in einem Moment, als wir mit ihm nicht mehr gerechnet haben, und mein Mann, verunsichert und fremd.
Für mich bestand überhaupt kein Zweifel, dass das Kind ein Teil meines Lebens ist und bleibt, bei mir ging es in dem Streit eher darum zu klären, ob der Papa mit uns dabei sein wird. Und nicht weil er mich fragte, mein Blut einmal untersuchen zu lassen und die Fruchtwasseruntersuchung vielleicht noch in Betracht zu ziehen, sondern weil er die Worte sagte, die sich für immer in meine Erinnerung eingebrannt haben: Ich weiß nicht, ob ich ein Kind mit Downsyndrom lieben könnte.
Ich war fassungslos. In dem Moment, als er das sagte, wurde mir klar, wie wenig Ahnung Menschen manchmal über das Downsyndrom haben, die beruflich nicht aus der Welt der Biomedizin kommen. Aber wie kann man jemandem in wenigen dramatischen Minuten beibringen, wie sinnlos menschliche Angst vor dem Downsyndrom ist?
Die Trisomie 21 ist nur eine von vielen Ursachen, durch die ein Kind mit einer Behinderung auf die Welt kommt. Der Mensch hat über 25.000 Gene und 23 Chromosomenpaare, und die Möglichkeiten zu Fehlbildungen sind beinahe unerschöpflich.
Andererseits können auch bei Kindern ohne Chromosomenanomalien vielfältige lebensbeeinträchtigende Fehlbildungen vorkommen. Die Jagd nach dieser einen Anomalie (nur weil sie etwas häufiger vorkommt als manche anderen Fehlbildungen, und weil der Labortest einfach durchzuführen ist) hat sich in den letzen Jahren zum wichtigsten Meilenstein der Pränataldiagnostik entwickelt. Und dabei sollte es bei solchen Gesprächen zwischen den Eltern gar nicht um das Downsyndrom, sondern um eine viel grundsätzlichere Frage gehen: Sind wir als Paar dazu fähig, ein Kind zu lieben, was anders ist als wir anfangs erwartet hatten? Wollen wir verstehen und akzeptieren, dass das Leben aus mehr Farben besteht, als wir uns ausmalen können?
Bei uns ist zum Glück alles gut gegangen – unser Sohn kam gesund und mit allen Chromosomen an den richtigen Positionen zur Welt. Und zu der Zeit, als ich mit meinem zweiten Kind schwanger wurde, war mein Mann schon so entspannt und sicher in seiner Vaterrolle, dass er mir die volle Unterstützung in einer Sache geben konnte: so weit wie möglich von Ärzten und der Übermedikalisierung der Geburt entfernt zu bleiben.
Aber wie viele Paare dürfen dieses einfachste Glück der Welt – eine natürliche Schwangerschaft und Geburt – nicht erleben? Wie viele Kinder mit Downsyndrom werden nicht geboren werden? Oder werden nur geboren, weil die Mütter sich nicht rechtzeitig einem Bluttest unterzogen haben?
Ein Buch, das jede Frau mit Kinderwunsch lesen sollte
Schwanger werden nach 35: Die Qualität der Eizellen verbessern